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Allgemeine Hinweise
Mittwoch, 1. August 2012
 Blatt / Kategorie: Liebe
Zweite Fassung eines Petitionstextes - wird möglicherweise aber noch einmal überarbeitet.

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Petitionstitel:
Der Bundestag möge beschließen, Sterbehilfe zu legalisieren.


Begründung:
Dem lebendigen Empfinden und gewissenhaften Verständnis der Unterzeichner dieser Petition nach gibt es keinen zwingenden Zusammenhang zwischen dem Schutz der "Würde des Menschen" und einem allgemeinen "Lebensschutz", der noch über den Willen desjenigen gestellt wird, der eigentlich beschützt werden soll. Der hier hergestellte Zusammenhang beruht auf einer individuellen Auslegung und Beantwortung grundlegender philosophischer Fragestellungen. Dabei ist der Anspruch auf Allgemeingültigkeit nicht gerechtfertigt.

Die gegenwärtige Fixierung auf den sogenannten Lebensschutz, der höher als das lebende Individuum gestellt wird, ist in mehrfacher Hinsicht fragwürdig. So erweckt sie z.B. den Eindruck, dass die Vertreter dieses "Lebensschutzes" einem ausschließlich materialistisch geprägten Menschenbild folgen. Einen Raum für die Annahme eines außerphysischen Lebens, das möglicherweise auch beschützenswert wäre, scheint es nicht zu geben. Für viele Menschen ist ihre "Würde" aber gerade in diesem Teil ihrer selbst beheimatet und eine mögliche "Ent-Würdigung" besteht für sie gerade in der Herabsetzung, Nichtbeachtung und Leugnung dieses Teils. Die gegenwärtige politisch philosophische Praxis kommt in ihrer einseitigen Fixierung auf den physischen Anteil des Menschen einer Leugnung des außerphysischen Lebens aber gefährlich nahe. Insofern es für alle Menschen verboten bleibt, ihr außerphysisches Leben höher als ihr physisches Leben einzustufen – bzw. gemäß so einer Grundüberzeugung im Rahmen der Sterbehilfe zu handeln – richtet der Staat die anmaßende und intolerante Botschaft an das Individuum, dass es mit seiner Grundüberzeugung falsch läge. Der Staat hingegen wisse es besser. Hier wird die Staatsideologie zur Unverschämtheit und es wird eine Freiheitsberaubung praktiziert, die bis in den inneren Kern des Individuums vordringt.
Auch Menschen, die den Glauben an ein außerphysisches Leben in sich tragen, muss die Möglichkeit gegeben werden, gemäß ihrer innersten Überzeugungen leben zu dürfen und ihren Glauben von religiöser Qualität durch ein entsprechendes Handeln ausdrücken zu können. Sofern es in diesem Zusammenhang auch zu den innersten Überzeugungen gehört, dass der Freitod kein kategorisches Verbrechen gegen "das Leben", sondern durchaus legitim ist, so muss dies akzeptiert werden. Selbstverständlich muss dies auch für den Kontext der Sterbehilfe gelten, in dem eine entsprechende Weltanschauung beim Sterbenden und Helfenden vorhanden ist.

Die Unterzeichner dieser Petition geben zu bedenken, dass in der gängigen politisch philosophischen Praxis möglicherweise mit einem falschen Verständnis des Begriffes "Würde" operiert wird, insofern er als ein Konstrukt verstanden wird, das objektiv definierbar sei. Die Annahme eines metaphysischen Gegebenseins der "Würde des Menschen" ist philosophisch zwar zulässig, der Anspruch, ihre Gestalt für andere zu sehen, sie besser als andere zu sehen, und das Gesehene obendrein für allgemein verbindlich zu erklären, ist nicht nur höchst fragwürdig und bedenklich für die jeweilige selbsternannte Autorität; er ist illegitim. Sollte es der "wahre Gehalt" von Artikel 1, Absatz 1, GG sein, nur ein einzig gültiges Menschenbild zu diktieren, das nur ganz bestimmte Ausdrucksformen für den Respekt gegenüber der "Menschenwürde" zulässt während es andere als "falsch" dahinstellt, so plädieren wir für eine Änderung des GG.
Der Begriff der "Würde" muss nach Ansicht der Unterzeichner ein Begriff sein, der für das Individuum unmittelbar verstehbar ist, und der sich auf den konkreten Menschen bezieht, einen Menschen, der lebt, fühlt und denkt. Wir verweigern uns dem Zugriff, einer platonischen Idee von "Würde" folgen zu müssen, die aus unserem konkreten Erleben und Sinnieren heraus nicht erfahrbar oder verstehbar ist, weil sie abgelöst in einer vermeintlich höheren philosophischen Sphäre dahinschwebt und nur durch geistige Autoritäten definiert werden kann.

Die gängige politisch philosophische Praxis betreibt darüber hinaus eine fragwürdige Verklärung im Gebrauch des Wortes "Leben". So bleibt das Wort vollkommen undefiniert, während man es gleichzeitig als einen hohen Wert dahinstellt und es in einer quasi religiösen Weise gebraucht, wenn allgemein von "dem Leben" gesprochen wird. Wissenschaftlich betrachtet geht unsere Kenntnis "des Lebens" aber nicht über die Unterscheidung zwischen einem "lebenden" Körper und einem "toten" Körper hinaus. Ist dieser Kenntnisstand genug, um einen "Wert des Lebens" auszurufen, der noch höher steht als der Wille eines konkret lebenden und fühlenden Individuums? Und ist eine Behauptung zulässig, im Interesse "des Lebens" zu handeln? Das würde voraussetzen, das Interesse "des Lebens" zu kennen. Ganz zu schweigen von der Voraussetzung, dass "das Leben" überhaupt ein eigenes, von seinen Individuen unabhängiges Interesse hat, wodurch es überhaupt erst Sinn machen würde, "das Leben" gegen seine "widerwilligen Individuen" beschützen zu wollen.

Der Begriff "das Leben" scheint zu einem "Gott" ähnlichen Konstrukt geworden zu sein. Wir bemängeln nicht, dass der Staat bzw. seine Repräsentanten eine Glaubenslehre pflegt, aber wir bemängeln, dass er diese Glaubenslehre absolut setzt und ohne Interpretationsspielraum für das Individuum diktiert, im Fall der Sterbehilfe sogar eine Praxis erlassen wird, die die Menschen unter Androhung einer Strafe auf den gewünschten ideologiekonformen Kurs bringen soll. Auch wir glauben letztlich an so etwas wie "das Leben" und seinen Wert, nur maßen wir uns nicht an, "das Leben" auf seine physische Erscheinungsform festzulegen. Auch maßen wir uns nicht an, irgend jemand anderes auf unseren Kurs zwingen zu wollen. Nicht zuletzt ist die Ideologie des "Lebensschutzes" unter Berufung auf das GG auch in formalrechtlicher Hinsicht fragwürdig, denn einen Paragraphen, der "das Leben selbst" über das lebende Individuum hinweg für einen Wert erklärt, gibt es nicht.

In diesem Zusammenhang sei noch angemerkt, dass wir von jemanden, der es ernst meint mit seiner Wertschätzung "des Lebens", erwarten würden, die Tierwelt miteinzubeziehen und sich dort stärker zu engagieren.

Die Unterzeichner dieser Petition haben das Bedürfnis, von einem Staat beschützt, bewacht, bestraft und geführt zu werden, der ein tieferes Verständnis der "Würde des Menschen" zulässt, als es die gegenwärtige allgemeine Auslegungspraxis tut. Die gegenwärtige Auslegungspraxis ist nach Ansicht der Unterzeichner u.a. ein Verstoß gegen den Grundsatz der Religionsfreiheit, weil sie den Anspruch der Absolutheit erhebt. Das GG muss für individuelle Auslegung zugänglich sein, da darin verwendete Begriffe wie "Würde", "Freiheit" und "Mensch" von philosophischen und religiösen Standpunkten abhängen. Dem individuellen Empfinden und Verstehen des Individuums sowie ganzer Bevölkerungsgruppen muss Rechnung getragen werden. Dies gilt zumindest dann, wenn es um Fragen von intimster und persönlichster Selbstbestimmung geht und fundamentale philosophische und religiöse Grundwerte den Ausschlag geben.

Die gegenwärtige Gesetzeslage im Bereich der Sterbehilfe und ihre argumentative Verteidigung unter Berufung auf vermeintlich objektive Werte und eine vermeintlich objektive Auslegung des GG ist eine Zumutung für viele selbstbestimmte und tief fühlende und denkende Menschen.

Wir fordern daher, die künstliche Verbindung zwischen der "Würde des Menschen" und einem rein physisch orientierten Lebensschutz aufzugeben, sich zumindest dort für andere Denkweisen zu öffnen, wo es um die Selbstbestimmung geht, und dies in entsprechenden Gesetzesänderungen auszudrücken. Die Praxis der Erhaltung physischen Lebens möge in Zukunft in gleicher Intensität weiterexistieren, sie möge darüber hinaus noch mit einer intensiveren und liebevolleren Betreuung von einsamen und kranken Menschen einhergehen, sie möge aber nicht mehr in Konkurrenz zum Selbstbestimmungsrecht des Individuums stehen.

Den Hinweis auf theoretisch mögliche Missbrauchsszenarien halten wir nicht für ein Gegenargument, denn wir erwarten von der Politik, sich die Mühe zu machen, nur den vereinzelt auftretenden Missbrauch einer grundsätzlichen Freiheit zu bekämpfen, ohne die Freiheit selbst anzutasten. Durch Forderung einer zweifelsfreien Beweislage bezüglich der Freiwilligkeit und Ernsthaftigkeit im Sterbewunsch, einer strengen Bestrafung für den Fall, dass keine ausreichenden Beweise vorgelegt werden, die intensivere Begleitung von chronisch kranken Menschen und zusätzliche Präventivmaßnahmen könnte ein Missbrauch effektiv bekämpft werden.
Der Hinweis auf theoretisch mögliche Missbrauchsszenarien als Argument für ein Verbot der Sterbehilfe bedeutet, das selbstbestimmte Individuum völlig unverhältnismäßig in Haftung für Unmenschlichkeiten zu nehmen, die es erstens noch gar nicht begangen hat und zweitens aller Wahrscheinlichkeit nach nie begehen wird. Die eigentlichen Übeltäter in einem Missbrauchsszenario sind diejenigen, die es zu bestrafen gilt, aber nicht das unschuldige Individuum in seinem unschuldigen Wunsch nach Selbstbestimmung. Auch wenn es sich formal nicht um eine Bestrafung des Individuums handelt, so wird prinzipiell doch das gleiche Mittel angewandt wie bei Verbrechern: Freiheitsentzug. Wir empfinden diese kategorische, undifferenzierte Behandlung als absolut unangemessen. Nicht das Verbot einer Freiheit ist das Normale, sondern die Gewährung einer Freiheit. Nur dort wo es nachgewiesenermaßen zu gravierenden Problemen von großem Ausmaß kommt, darf man über ein Totalverbot einer so grundsätzlichen Freiheit nachdenken, und auch das nur dann, wenn vorher alle Versuche eines differenzierten Eingreifens bei zusätzlichem Einwirken auf die wahren Ursachen gescheitert sind.

Das Argument, dass bei Gewährung von Sterbehilfe Menschen am Rande der Gesellschaft leichter Gefahr laufen, sich wertlos und überflüssig fühlen zu können, und ihr Lebensrecht möglicherweise in Frage gestellt sehen, ist in ähnlicher Weise befremdlich. Hier wird ein Zusammenhang in den Mittelpunkt gestellt, der alles andere als zwingend ist, und doch soll dies ein ausreichendes Argument sein, eine fundamentale Freiheit zu verbieten. Kritisch ist bei diesem Argument vor allem die Konzentration auf den Menschen als ein Wesen, das praktisch machtlos ist in Bezug auf sein Gefühlsleben. Die bloße Möglichkeit zu Gefühlen der Wertlosigkeit – die so oder so gegeben ist – bedeutet noch lange nicht, dass der Mensch auch auf diese Weise fühlen muss und keine andere Wahl hat. Der Mensch, und ist er auch noch so krank, trägt eine gewisse Verantwortung für sein Innenleben und er hat immer auch die Wahl, an seinen eigenen Wert zu glauben. Gewiss ist der Mensch auch für die Signale seiner Umwelt anfällig, und gewiss sollte Staat und Gesellschaft dem Menschen grundsätzlich auch helfen, zwischen zwei Gedanken den positiveren zu wählen, das bloße Verbot von Sterbehilfe tut in dieser Sache aber praktisch nichts. Eine aktive und intelligente Bestärkung des menschlichen Selbstwertgefühls wäre durchaus ein lobenswertes Betätigungsfeld für "Vater Staat", doch leider scheint er seine fürsorgliche Rolle vor allem in dem Aufstellen von Verboten zu verstehen.

Wir plädieren nicht für einen Dienstleistungsanspruch des Individuums auf Sterbehilfe. Wir plädieren für die Abschaffung der Praxis, zwei Menschen ein Handeln zu verbieten, auf das sie sich in Frieden und im Einklang mit ihren eigenen Wertvorstellungen geeinigt haben. Sterbehilfe kann unserer Ansicht nach weder geboten noch verboten werden. Das betrifft selbstverständlich auch jeden möglichen Berufsstand. Ärzte dürfen keinen Repressionen ausgesetzt sein, wenn sie freiwillig Sterbehilfe geben, und es muss ihnen legal möglich sein, entsprechende Medikamente zu besorgen, auszuhändigen und zu verabreichen. Die Strafbarkeit der "Tötung auf Verlangen" soll abgeschafft werden, sofern die Freiwilligkeit und Ernsthaftigkeit des Sterbewilligen zweifelsfrei bewiesen ist. Des weiteren muss eine eindeutige Abgrenzung zum Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung gezogen werden. Angehörigen und Freunden eines bewusst aus dem Leben scheidenden Menschen – ob mit Sterbehilfe oder ohne – muss es legal möglich sein, einen Menschen in unmittelbarer Begleitung zu verabschieden und ihn, sofern es gewünscht ist, bis zum letzten Moment seines Leben im Arm oder an der Hand zu halten.

Es besteht die Möglichkeit, im Regelfall psychologische und soziale Gutachten zu verlangen, die über einen Beobachtungszeitraum einer gewissen Mindestdauer von z.B. mehreren Wochen oder Monaten erstellt werden. Hier kann umfassend geprüft werden, ob irgend eine Form von illegitimer Fremdbeeinflussung des Sterbewilligen durch einen Dritten vorliegt.
Es steht Staat und Gesellschaft der Versuch offen, das Individuum zum Einlenken zu bewegen, sofern damit keine Form direkter oder indirekter Nötigung verbunden ist. Hat dieser Versuch keinen Erfolg, muss dies akzeptiert werden. Der Wunsch zu sterben darf nicht kategorisch als "psychisch krank" diskriminiert werden. Staat und Gesellschaft sind dazu eingeladen, die Kunst der Umstimmung bezüglich des Lebenswillens eines Individuums zu schulen und ihr Ansinnen durch Zeichen der Liebe und Opferbereitschaft zu untermauern. Wo Liebe und Opferbereitschaft nicht vorhanden sind, mögen sich Staat und Gesellschaft in Ehrlichkeit üben.

Vom Petitionsausschuss erwarten wir im Falle einer Ablehnung eine stichhaltige Begründung seiner Entscheidung. Den Hinweis, die Petition würde gegen das GG verstoßen, halten wir hier nicht für ausreichend, denn es ist, wie bereits erwähnt, durchaus ein möglicher Anspruch dieser Petition, eine Änderung des GG zu bewirken. Das GG ist genauso Gegenstand demokratischer Veränderungsprozesse wie andere Gesetzeswerke auch. Im übrigen haben wir bereits hinreichend dargelegt, dass für unsere Interessen bereits eine offenere, tolerante Auslegungspraxis des GG ausreicht, bzw. dass bereits die Abkehr von willkürlichen Interpretationen ausreicht. Noch einmal weisen wir auf die offensichtliche Tatsache hin, dass das Thema auch ein sehr religiöses Thema ist, und dass daher der Grundsatz der Religionsfreiheit unbedingt Anwendung finden muss.

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